Kae Tempest mit neuem Album „Self Titled“: intim und triumphal
Seit der Veröffentlichung seines Debütalbums „Everybody Down“ im Jahr 2014 steht Kae Tempest für scharfe, sozialkritische Texte. Die Lyrics des Londoners wurden mit zahlreichen Literatur-, Poesie- und Musikpreisen ausgezeichnet. Auf seinem fünften Album wird es persönlicher: Wir tauchen in das Privatleben eines Menschen ein, der den steinigen Weg zu sich selbst beschritten hat – und ankommt.
„Healing and perfect“: Ein neues Kapitel für Kae Tempest
Tempest eröffnet das Album mit dem Song „I Stand on the Line“, einer Huldigung an alle die, die vor ihm da waren. Damit bezieht er sich zum einen auf Artists und Performer*innen, deren Spirit er auf der Bühne verkörpert und weiterträgt – und zum anderen auf die Trans-Community: „I adore us, I do it all for us / Our warmth is a portal / We’re awkward and graceful / The place we are from is eternal / And what we embody is healing and perfect / Resilience.“
„Self Titled“ ist das erste Album, das der 39-Jährige als Trans-Mann veröffentlicht. Vor seiner letzten LP „The Line Is a Curve“ (2022) änderte Tempest seinen Vornamen und outete sich als non-binär. Im vergangenen Jahr begann er, in der Öffentlichkeit männliche Pronomen zu verwenden. Bereits im Opener rappt er offen über seine Transition: „The T’s putting hairs on my chest, spots on my chin / My emotions are not what they’ve been.“ Ein roher, zum Teil düsterer, letztlich aber feierlicher Einstieg.
Im Zwiegespräch mit der eigenen Geschichte
Kae richtet den Blick weiter nach innen. In „Know Yourself“ reflektiert er die Qualen und Karthasen der Selbstfindung und liefert ein mitreißendes Duett mit seinem jüngeren Ich. Musikalisch wird der Prozess des Identitätswandels durch ein Sample aus einem alten Track auf clevere Weise nachgezeichnet. Brutal offen, verletzlich – und gerade deshalb so stark: das Leitmotiv des Albums.
„Bless The Bold Future“ ist eine nuancierte Auseinandersetzung mit den eigenen Zweifeln, neues Leben in eine zerrissene Welt zu bringen. Konkrete Gesellschaftskritik, etwa an Wohlstandsgefällen und sozialer Isolation, hallt besonders in Tracks wie „Hyperdistillation“ nach. Die Lead-Single „Statue in the Square“ markiert einen der musikalischen Höhepunkte: Über einem donnernden Piano-Beat vereint Tempest pointierte Rap-Strophen mit einer eingängigen Hook.
Kae Tempest zelebriert sein Coming-of-Self
Im Alleingang ist Tempest auf „Self Titled“ nicht. Das schottische Trio Young Fathers steuert auf „Breathe“ seinen charakteristischen, druckvollen Sound bei, während Pet-Shop-Boys-Legende Neil Tennant auf „Sunshine on Catford“ mit strahlendem Synthpop einen überraschenden Kontrapunkt setzt. Gerahmt wird das Ganze von der satten Produktion Fraser T. Smiths, der sich durch Kollaborationen mit Stormzy, Dave, Kano und Ghetts in den vergangenen Jahren einen Namen in der UK-Hip-Hop-Szene gemacht hat.
Doch es sind nicht die Beats und Melodien, sondern die Lyrics, die auf „Self Titled“ die Show stehlen. Die radikale Ehrlichkeit, Widerstandsfähigkeit und Feierlichkeit, die Kae Tempest in seinen Texten vermittelt, lassen das Album als Fels in der Brandung erscheinen. Es legt den Finger in die Wunde, macht persönliche wie kollektive Konflikte greifbar – und tut dies mit neugefundenem, ansteckendem Selbstvertrauen.
Das Urteil drängt sich auf: „Self Titled“ zählt schon jetzt zu den bedeutendsten Releases des Jahres.
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