Musikreview: „Heretic Tongues“ von Wucan

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Wucan: Auf der eigenen Zeitspur

Die Dresdner Truppe um Frontfrau Francis Tobolsky hat seit jeher mit allerlei musikhistorischen Vergleichen zu kämpfen. Wird man ihnen damit gerecht? Manchmal schon, oft aber nicht. Mit ihrem dritten Album ändert sich das nicht, allerdings beweisen sie mit „Heretic Tongues“ endgültig, welche Beachtung ihnen eigentlich zustehen würde. Weitere interessante Rock-Storys gibt es hier zu lesen.

InterpretWucan
AlbumHeretic Tongues
Veröffentlichung20. Mai 2022
GenreHard Rock
LabelSonic Attack Records
Tracks7
Bewertung der Redaktion10/10
Spieldauer42 Min

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Das Spiel auf der alten Leier

Wucan haben es nicht leicht. Es ist zwar schon immer ein Ding gewesen Bands mit vorhergegangenen Bands zu vergleichen, aber die ostdeutschen Rocker werden kreuz und quer mit Zeug verglichen, mit dem sie absolut nichts zu tun haben. Allem voran: Jethro Tull. Woher der Vergleich kommt, ist natürlich klar. Immerhin ist das Querflötenspiel von Sängerin und Rhythmusgitarristin Francis ein elementarer Teil der Musik. Und weil sie eine Frau ist, kommen dazu noch jede Menge Gegenüberstellungen mit anderen Female-Fronted-Bands. Am meisten jedoch mit den Blues Pills. Ebenfalls nachvollziehbar, vor allem da sich beide Bands visuell ausgiebig an den 70er-Jahren orientieren. Aber sowohl Tull als auch die Pills haben nichts mit dem Sound der Band zu tun.

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Cover "Heretic Tongues"
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Wucan machen Musik, wie sonst keiner. Klassischer Hard Rock, mit einer gewollt expliziten deutschen Schlagseite. Retro ohne Frage, aber nicht altbacken. Heavy, aber nicht Metal. Krautrock, aber nicht verkopft. Eine interessante Mischung, die durchwegs funktioniert und dazu auch noch verdammt Laune macht. „Heretic Tongues“ ist dabei ein Meilenstein – hier klingt der Wucan-Sound besser denn je. Das liegt einerseits an der verstärkten Eingängigkeit, aber auch am klaren Wachstum des musikalischen Talents (nicht dass die vier vorher schlecht gewesen wären) der verantwortlichen Musiker. Wo „Reap The Storm“ und „Sow The Wind“ noch etwas wirkte wie geniale Songs, die etwas lose zusammengeworfen wurden, ist „Heretic Tongues“ ein perfekt zusammenpassendes Langspielerlebnis.

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Ohrwürmer mit Bedeutung

Das Album beginnt allerdings mit ein bisschen Verwirrung. Die ersten beiden Tracks, die dem Hörer entgegen fliegen, tragen die Titel ‘Kill The King’ und ‘Don’t Break The Oath’ – da denkt dieser erst einmal an Rainbow und Mercyful Fate. Hat mit denen allerdings überhaupt nichts zu tun, weder musikalisch noch lyrisch. Außer dass auch sie direkt voll auf die Zwölf gehen. Ersterer ist ein klassischer Hard Rocker, schneller Anfang, knackiges Riff und ein bisschen Flöte. Dann kommt ein perfekt gesetzten ruhigen Zwischenpassage, die in einem Chorus mündet, den man so schnell nicht wieder loswird: „Hey Na Nanana“. Klingt nach Babysprache – fetzt dank Francis Ausnahmestimme aber ordentlich. ‘Don’t Break The Oath’ folgt einem ähnlichen Aufbau, ist dabei aber lange nicht so starker Erinnerungskleber.

Richtig interessant wird es bei der nächsten Nummer: ‘Fette Deutsche’. Das ist doch mal ein Titel! Ein zeitgemäßer, gesellschaftskritischer Text untersteht diesem, und auch die Musik ist hervorragend. Ein komplexer Klangteppich, experimentell mit Theremin und Blasmusik Fade-out. Bei solchen Momenten kommen Wucan ihren politisch geprägten Vorbildern der Rockszene im deutschen Herbst sehr nahe. Wucan wollen nicht nur gute Rockmusik spielen – sie haben dazu etwas zu sagen. Das zeigt auch das Coverstück des Albums. Mit ‘Zwischen Liebe und Zorn’, welches im Original von der kontroversen Klaus Renft Combo aus der DDR gespielt wird, haben sich die Dresdner ein wahres Schmankerl ausgesucht. Mit dem bewährten Flötenrock machen sie sich die Nummer zu ihrer eigenen, nur der gekrischene Refrain bleibt dem der Refn Combo treu.

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Disco und Stimmkraft

Das Highlight der Platte bildet allerdings der Mittelteil. Der in zwei Parts geteilte Epos ‘Far And Beyond’ groovt einem direkt ins Kleinhirn. Eine Bassline, die sich mit dem Drumbeat duelliert und dabei ganz frech in Disco-Territorien abdriftet. Fast poppig, zur zweiten Hälfte kommt auch eine gehörige Portion Psychedelia und Rock-Pathos hinzu, und verwandelt das Lied unter der Führung von Francis charismatischer Powerstimme in ein traumhaftes Stück analoge Musik.

„Heretic Tongues“ ist eine klare Empfehlung für Rockfans jeder Art. Ein Album voller Talent, guter Ideen und Botschaften. Wucan zeigen der deutschen Rockszene wie es geht. Und das behaupten nicht nur ketzerische Zungen!


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Autor*in

Egal ob bei Konzerten, im Proberaum oder Zuhause vor der Anlage – Musik ist für Simon alles. Da er in seiner Freizeit deshalb sowieso schon alle zutextet, hat er es sich auch noch zum Beruf gemacht.