Lauter, wütender, solidarischer. Neuer Deutschpunk im Porträt
Die Szene, die einst gegen alles rebellierte, kümmert sich heute um ihre eigenen Baustellen. Machtgefälle, Sexismus, überholte Strukturen – Probleme, die früher gerne übersehen wurden. Eine neue Generation stellt sich ihnen.
Altes Genre, neue Stimmen: FLINTA-Punks entstauben ihre Szene
Deutschpunk ist alt geworden, und mit ihm manches Denken. In den 90ern ließen sich Die Toten Hosen noch stolz zwischen nackten Frauen für ihre Best-of-Reihe Reich & Sexy ablichten, während Die Ärzte selbst in den 2000ern nicht davon abließen, ihre Texte mit sexistischen Klischees zu spicken. Was früher gerne als Provokation gefeiert wurde, wirkt heute wie ein Spiegel, den die Punk-Urgesteine sich und ihren Mitstreitern selbst vorhielten. Denn ob auf, vor oder neben der Bühne: Sexismus ist im Deutschpunk traditionell tief verwurzelt.
Doch es rumort. Eine neue Generation stellt die Szene auf den Prüfstand. Vor allem FLINTA-Punker*innen rücken lange ignorierte Themen wie interne Diskriminierung in den Vordergrund. Und das ist wichtig, denn einen Gegenentwurf zu den patriarchalen Strukturen in der Gesellschaft stellt das Genre trotz seines emanzipatorischen Selbstbilds noch nicht dar.
Umso essenzieller sind feministische und queere Stimmen, die – nicht selten zur Ungunst der alten Riege – immer lauter werden. Wir stellen euch einige der Akteur*innen vor, die den Wandel bereits angestoßen haben.
AKNE KID JOE: Sarah (Frau, auch in ner Band)
„Meine Freunde waren alle Musiker in Bands, ich war die Freundin von Musikern in Bands“, erinnert sich Sarah von Akne Kid Joe. Im Lied Sarah (Frau, auch in ner Band) schildert sie unter anderem das intrinsische Gefühl, nicht gut genug für das Rampenlicht zu sein – und spricht vielen Punkerinnen damit aus der Seele.
Die Erfahrung, als Frau in der Szene nicht ernst genommen zu werden, zieht sich wie ein roter Faden durch die zahlreichen Berichte im Sammelband Punk As F*ck – Die Szene aus der FLINTA-Perspektive. Das 2022 erschienene Buch lässt Szene-Akteur*innen zu Wort kommen und stellt eine Bestandsaufnahme der feministischen Debatte im Punk dar. Es wird deutlich: Um Einzelfälle handelt es sich nicht.
DEUTSCHE LAICHEN: Von Mackern und Pumas
Die Göttinger Pöbel-Punks – wie sie sich selbst bezeichnen – nehmen beim Thema Feminismus keinen Blatt vor den Mund. Im Song Emanzenlesbenschlampe etwa geht es um sexistische und homophobe Beschimpfungen, die Frauen immer wieder zu hören bekommen – auch in der eigenen Bubble. In Von Mackern und Pumas rechnen die Laichen konsequent mit Mansplaining ab.
Im Statement zur Debüt-LP bringt es die Gruppe auf den Punkt: „Wir dachten uns: Die Band, die wir gerne auf der Bühne sehen möchten, müssen wir vielleicht einfach selbst starten. Denn cis-boy-Bands kennen wir schon genug und Queers sind auf Punkbühnen leider immer noch unterrepräsentiert. Den Sexismus in der Szene haben wir oft genug am eigenen Leib zu spüren bekommen, deswegen schreien wir umso lauter gegen den patriarchalen Normalzustand an.“
SCHROTTGRENZE: Life is Queer
Schrottgrenze haben mittlerweile schon zehn Alben herausgebracht. Angefangen als Emo-Punks, hat sich die Band aus Norddeutschland in den 2000ern als Indierock-Quartett etabliert. Nach Jahren der Funkstille wurde 2017 die queere Ära der Band eingeleitet: Glitzer auf Beton war der Start einer Album-Trilogie, die 2019 mit Alles Zerpflücken fortgesetzt und vor zwei Jahren mit Das Universum ist nicht binär abgerundet wurde.
Die Gruppe steht heute mehr denn je für selbstbewusste, queer-feministische Songs, die sich gegen starre Rollenmuster stellen. Saskia Lavaux, Frontfrau der Band, hat im Punk As F*ck-Interview mit Diana Ringelsiep die wachsende Offenheit im Genre charakterisiert: „Ich finde, dass sich vor allem in den letzten zehn Jahren sehr viel zum Positiven verändert hat. Mir hat diese Entwicklung wieder richtig Appetit auf Punk gemacht, weil viele neue FLINTA-Bands dazugekommen sind.“
Rebellion und Reflexion! Deutschpunk im Umbruch
Auch männlich besetzte Bands der neuen Generation übernehmen zunehmend Verantwortung. So etwa Team Scheisse – die aktuell wohl meistgehörte Punkrock-Gruppe des Landes –, die eine ihrer letzten Touren ausschließlich vor FLINTA-Publikum spielte. Formate wie FLINTA-Jam-Sessions oder Safe-Space-Konzerte sind mittlerweile keine Seltenheit und zeugen vom wachsenden Bewusstsein in der Szene.
Und die alte Garde? In der 2022 erschienenen SWR-Doku Millennial Punk, in der Bands wie Akne Kid Joe und Schrottgrenze selbst zu Wort kommen, zeigt sich, wie unterschiedlich männliche Punk-Veteranen die Entwicklung zum Teil bewerten. Während Axel von Wizo sich beispielsweise sehr selbstkritisch gibt und unter anderem einräumt, dass er eigene sexistische Tendenzen in sich beobachtet, spielt Campino den Vorwurf der strukturellen Ungleichheit zu seiner Zeit herunter.
Die Debatte lebt. Es geht nun nicht mehr bloß um den Kampf gegen äußere Strukturen, sondern gerade um die Reflexion der eigenen. Die punktypische Anti-Haltung ist in der Musik junger Bands und Artists nach wie vor präsent, wird aber durch die kritische Auseinandersetzung mit Privilegien und Ungleichheiten im eigenen Kosmos ergänzt. So entfaltet sich ein Potenzial. Der zeitweise eingestaubte Deutschpunk wird bunter – und damit auch wieder lauter. Und man wagt sich zu fragen: Kann das Genre in Deutschland wieder zum Sprachrohr für Gesellschaftskritik und Protest werden?