Katy Perry fliegt wirklich im All – und wir fragen uns: Warum?
Was der Space-Ausflug der Popsängerin über die Musikindustrie, unser Verhältnis zu Privilegien und die deutsche Popkultur verrät. Gestern saß ich im Büro, als die Push-Benachrichtigung kam. Katy Perry im All. Per Livestream konnte man zusehen, wie sie in einer Blue-Origin-Rakete elf Minuten die Atmosphäre verließ. Elf Minuten, die angeblich Geschichte schreiben, weil eine rein weibliche Crew an Bord war.
Neben der US-Sängerin waren auch Lauren Sánchez, die Journalistin und Verlobte von Jeff Bezos, Gayle King von CBS, Aktivistin Amanda Nguyen, Tech-Unternehmerin Aisha Bowe und Filmproduzentin Kerianne Flynn an Bord. Frauen, die zweifellos erfolgreich in ihren jeweiligen Bereichen sind. Doch genau das macht die Sache so kompliziert und wirft Fragen auf, die weit über den blauen Himmel hinausgehen.
Katy Perry im all – Elf Minuten Luxus
Der enttäuschend kurze Flug mit der Blue-Origin-Rakete kostete pro Person mehrere hunderttausend Dollar. Ein absurdes Missverhältnis, wenn man bedenkt, dass viele Clubs, Festivals und Künstler*innen in Deutschland ums finanzielle Überleben kämpfen. In einem Musikbusiness, das sich zunehmend mit Themen wie Nachhaltigkeit, sozialer Verantwortung und Zukunftsfähigkeit beschäftigt, wirken solche Ausflüge wie aus der Zeit gefallen.
Es ist gerade mal ein paar Jahre her, da war Nachhaltigkeit das Buzzword in der Musikindustrie. Billie Eilish verbot Einwegplastik, Coldplay reisten emissionsarm, auch in der deutschen Szene wurde viel über Verantwortung gesprochen. Und nun fliegt Katy Perry ins All, ermöglicht durch mediale Reichweite und finanziellen Spielraum.
Feminismus im Raketenstart
Dass ausschließlich Frauen an diesem Flug teilgenommen haben, ist eine schöne Idee. Aber reicht das? Empowerment braucht Kontext, nicht nur Sichtbarkeit. Braucht es eine Sängerin im Raumanzug, um Female Empowerment zu demonstrieren? So kommentierte eine Userin den Livestream mit:
“Sie sind Touristen, keine Astronautinnen!”
Ich hätte mir eine Astronautin aus der Wissenschaft gewünscht, eine Ingenieurin, eine Visionärin, die wirklich für den Fortschritt in der Raumfahrt steht. Keine Sängerin, deren größter Beitrag zur Mission die Reichweite ihres Instagram-Kanals ist.
Deutsche Popkultur im Vergleich
Und was hat das alles mit uns zu tun? Im Vergleich fällt auf, in der deutschen Musikszene wäre so ein PR-Stunt kaum denkbar. Nicht, weil es hier keine großen Namen gäbe, sondern weil das Bewusstsein für Verantwortung präsenter ist.
Künstlerinnen wie Mine, Nura oder Alli Neumann sprechen über Feminismus, Klasse oder Klimakrise ohne ins All zu fliegen. Ihre Stärke liegt nicht im Spektakel, sondern im Bezug zur Realität. Genau das macht sie nahbar – und politisch. Und das Themen wie Nachhaltigkeit in der Musikindustrie in Deutschland besonders relevant sind, zeigen Festivals wie die c/o pop, über die wir hier berichten.
In der deutschen Popkultur ist das Weltall nämlich kein Ort für PR-Stunts, sondern ein Symbol für innere Zustände wie Sehnsucht, Einsamkeit und Aufbruch. Songs wie Sidos „Astronaut“ (mit Andreas Bourani) benutzen das Bild vom Abheben, um genau dies auszudrücken. „Ich heb‘ ab, nichts hält mich am Boden“ klingt nicht nach Triumph, sondern nach dem Versuch, dem Druck der Welt zu entkommen. Es geht um Entfremdung und nicht um Eskapismus in der Business-Class.
Ähnlich ikonisch ist der Klassiker „Major Tom (völlig losgelöst)“ von Peter Schilling, eine deutsche Reinterpretation von David Bowies “Space Oddity”. Der Song erzählt nicht von Glamour, sondern vom Kontrollverlust, vom Menschen im technischen System, vom Loslassen. Major Tom ist allein da draußen, nicht live auf Instagram.
Ein Höhenflug mit bitterem Beigeschmack
Der Raumflug von Katy Perry war ein Spektakel, aber er war kein Fortschritt. Er war ein Spiegel dessen, was in der Popkultur längst Realität ist: Wer Geld und Reichweite hat, kann sich fast alles leisten, selbst den Himmel. Die Frage ist nicht mehr nur: Warum ist sie geflogen? Sondern auch: Warum haben wir hier in Deutschland zugesehen – und was sagt das über unsere Popkultur aus?